Kapitel
1
Berlin,
arm aber „Adlon verpflichtet“
Ich
wälzte mich aus dem eng bemessenen Sitz heraus hinein in den
ebenfalls schmalen Gang.
Es
war eine beschissene Fahrt gewesen.
Zum
Einem quälte mich mein Gewissen, weil ich auf einer Reise zum
privatem Vergnügen war, die sich sicherlich nicht in den Spesen
abrechen ließ, und ich somit 200 € ohne zusätzlichen Mehrwert für
ein privates Vergnügen aufwenden musste.
Zum
Anderem war der Zug völlig überfüllt. Ich hatte zwar eine
Sitzplatzreservierung, allerdings hätte ich mit einem Stehplatz im
Gang nur unwesentlich weniger Platz gehabt. Bei der
Sitzplatzreservierung hat die Deutsche Bahn eine Person neben mir
gebucht, die eigentlich zwei Sitzplätze hätte buchen müssen. Die
Mitarbeiter der DB sahen das hier aber anscheinend etwas anders
Ich
setzte mich also von meinem Sitzplatz auf, musste dabei aber
aufpassen nicht vom Koffer eines Verursachers des Defizits bei den
Gesetzlichen Krankenkassen erschlagen zu werden. Dieser Koffer war so
überdimensioniert, dass man den Eindruck haben könnte mein
Sitznachbar wolle dauerhaft auswandern. Mein Koffer hat immer nur
Handgepäckgröße. Es kommt nicht darauf an wie viel man mitnimmt,
sondern wie man es einpackt.
Im
Schneckentempo ging es aus dem Zug heraus und als ich über die
Schwelle trat geriet ich aus der Traufe in den Regen. Der Zug war
verlängert worden, die Glaskuppel beim Bau des Bahnhofes aus
Zeitgründen aber etwas zu kurz geraten, was dazu führte das meine
erste Berührung mit der Hauptstadt eine doch überaus kalte,
unangenehme und vor allem nasse war. Die Einladung einer
Bekanntschaft, die ich bei einer Konferenz in Usbekistan gemacht
hatte, der Grund warum ich überhaupt in diese fremde Stadt kam,
umfasste zwar einige Übernachtungen in einem Berliner Hotel,
allerdings kein Flugticket, welches mich samt Taxiservice vor solchen
Unannehmlichkeiten hätte bewahren können.
Ich
bewegte mich mit schnellen Schritten, dem Regen zu entfliehen
versuchend, über die Rolltreppe hinaus zum Taxistand und stieg in
das vorderste Taxi der Reihe. Dem Taxifahrer gab ich einfach die
Adresse des Hotels, die Andre mir bei unserem letzten Treffen
aufgeschrieben hatte. Der Zettel sah mittlerweile etwas mitgenommen
aus. Mein Gepäck musste ich selber einladen, was mir eigentlich auch
ganz recht war. Ich versuchte für einen Moment die Augen zu
schließen und für einen Moment das weiche Leder unter mir nach der
langen und harten Fahrt zu genießen.
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Die
schwarze Limousine brachte mich direkt zum First-Class-Terminal der
Lufthansa am Frankfurter Flughafen. Es war ein Service meines Hotels,
den ich gerne in Anspruch nahm.
Eine
Mitarbeiterin der Lufthansa begrüßte mich schon, während sich ein
anderer Mitarbeiter um meine beiden Koffer kümmerte.
Mir
standen zwei Gepäckstücke pro Flug zu, warum also das nicht
ausnutzen, wenn ich die Koffer nicht mal selber schleppen muss,
dachte ich mir immer.
Die
Lufthansa Mitarbeiterin sprach mich mit Vornamen an und ich sie auch.
Ich gab ihr wie selbstverständlich meinen Reisepass. Nachdem ich die
Sicherheitskontrolle hinter mich gebracht hatte verabschiedete ich
mich in Richtung Snackbar. Ich hatte mich zwar noch etwa eine Stunde
vorher zum Essen mit einer Freundin in Frankfurt getroffen, ein
kleiner Snack und ein guter Rotwein können aber eigentlich nie
schaden.
Ich
nahm mir ein gut gefülltes Glas Rotwein sowie einen Teller voll
Madeleines und begab mich in eine ruhige Ecke der Lounge, in die
Smookingarea. Nach einem großem Schluck Rotweins und zwei Madeleines
auf einmal steckte ich mir erstmal eine Zigarette an, Vorsorgungen
treffen für den anstehenden Flug.
Die
Lufthansamitarbeiterin brachte mir meinen Boardingpass und ich
verdrückte mich noch schnell zur Toilette, ließ meinen Wein und die
Madeleines unbeachtet zurück. Es gibt für mich nichts
unangenehmeres als bei einem Kontinental-Flug auf die
Flugzeugtoilette zu müssen. Die Madame wird ihren Spaß haben mich
zu suchen, auf der Anzeigetafel wurde mein Flug schon zum Boarding
aufgerufen.
Mir
egal, müssen die Anderen halt auf mich warten.
Ich
trocknete mir noch die Hände mit Papiertüchern ab und öffnete die
Tür der Toilette, da kam mir schon die Madame Lufthansamitarbeiterin
aufgeregt entgegen und bat mich, nachdem sie sich kurz sammelte, ihr
zu folgen.
Wir
gingen ein paar Treppen hinunter, verließen das Terminal und stiegen
ein in einen schwarzen Mercedes, der mich zum Flugzeug bringen
sollte.
Die
Crew erwartete mich schon freundlich wie immer und ich verstaute
meine Umhängetasche mit Laptop, iPod und Lektüre auf dem Sitzplatz
neben mir. Kaum saß ich kam auch schon ein Stuart auf mich zu,
fragte mich ob ich etwas lesen möchte. Während ich anfing den
aktuellen Stern durchblättern und den einen oder anderen Artikel
überflog begann das Flugzeug seinen Steigflug.
Obwohl
der Flug von Frankfurt nach Berlin nur etwa 45 Minuten Flugzeit hatte
bekam ich doch, ebenso wie die anderen Passagiere der Businessclass,
ein vollständiges Abendbrot, ich bestellte mir dazu einen Rotwein.
Eine Bekannte von mir meinte einmal, man könnte diese Kurzflügge in
der Businessclass komplett mit Essen verbringen.
Nachdem
ich mit meinen Abendbrot fertig war (Abendbrot um halb 4 ;) ) ,
widmete ich mich noch meinem iPod, ein Kollege von der WB hatte mir
Musik aufgespielt, und begann einem ausführlichem Artikel im Stern
zu lesen.
Die
Landung in Berlin Tegel gestaltete sich etwas unsanft, dafür wartete
die Limousine des Adlons, das ich schon vor meiner Verabredung in
Frankfurt verständigt hatte am Rollfeld. Ich war erleichtert, dass
ich nicht in diesen stickigen Bus musste. Meine Koffer werden mir
später nachgeliefert worden sein, ich kannte das Prozedere schon.
Adriana,
meine Fahrerin, klärte mich kurz über den Stand in der Hauptstadt
auf, es war Wahlkampf um das Rote Rathaus. Den Rest der Fahrt genoss
ich es einfach wieder in Berlin zu sein. Es hat zwar nicht die Sonne
Südfrankreichs, aber dafür den ganze besonderen Berlin-Flair, den
Flow, den nur Berlin hat.
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Allerdings
bedurfte es gar keiner weiteren Ablenkung, weil die Fahrt bereits
nach einigen tiefen Atemzügen ihr Ende gefunden hatte. Ich schreckte
kurz auf als das Taxi stoppte, warf einen Blick auf das Taxameter,
und gab dem Fahrer einen 10 € Schein.
Kaum
hatte ich die Tür geöffnet stand ein großer, in einem langen
schwarzen Mantel gekleideter Portier mit Regenschirm vor mir und
fragte ob er mein Gepäck abnehmen könne. Ich werde bereits
erwartet. Ich verneinte die Frage höflich, der Portier half mir aber
trotzdem meinen Koffer aus dem Kofferraum des Taxi zu nehmen und ich
folgte, meinen Koffer hinter mir herziehend, dem Portier hinein in
die Eingangshalle des Hotels, vorbei an einem Schild mit einigen
Sterne und einem für mich unbekannten Schrittzug.
Die
sich vor mir ausbreitete Eingangshalle war beeindruckend. Stilvoll
eingerichtet, ein ständiges Stimmengewirr, aber nicht laut,
Klaviermusik im Hintergrund und inmitten von alle dem ein
Springbrunnen von filigraner Handwerkskunst. Der Portier geleitete
mich über die linke Seite hin zu einem Schalter, an dem ständiges
Gewusel herrschte und niemand sich von Dauer aufzuhalten schien. Der
Portier verschwand nach einem kleinen Gruß zur Hotelangestellten
wieder hinaus zur Tür, sprach aber zuvor noch einige in
Freizeitkleidung und Tennissocken gekleidete Personen am Eingang an,
über die ich mich schon gewundert hatte, weil sie mit ihren
Fotoapparaten irgendwie nicht wie Hotelgäste erschienen.
Die
Hotelangestellte sprach mich auf Englisch an und hieß mich
willkommen, ich antwortet auf Deutsch. Irgend wofür müssen sich
die Deutschstunden ja gelohnt haben, ;) und ich hatte mich immerhin
genug gequält. Die Anmeldung verlief schnell und reibungslos, die
Hotelangestellte gab mir meine Schlüsselkarte. Die restlichen
Formalien muss Andre wohl bereits erledig haben, und man erkundigte
sich erneut ob man mir bei meinen Gepäck helfen könne. Ich
verneinte die Frage erneut und man wünschte mir einen schönen
Aufenthalt als sie bemerkte, dass Andre mit festem Schritt auf die
Rezeption zu kam. Andre grüßte die Hotelangestellte noch im Gehen
kurz mit Vornamen und streckte mir seine Hand entgegen was allzu bald
in eine feste Umarmung überging.
Der
silberne Audi stoppte vorm Adlon, ich stieg aus und verabschiedete
mich von Adriana. Auf dem Weg zur Rezeption warf ich noch einen Blick
auf den Brunnen in der Mitte der Eingangshalle, ein Kunstwerk welches
mich jedes mal fasziniert.
An
der Rezeption brauchte ich Sophia nur noch meine Kreditkarte zum
Abgleich geben und bekam von ihr meine Schlüsselkarte, die von
Medewe ließ ich aber an der Rezeption, ich wollte ihm den Gang dahin
nicht ersparen.
Meine
Suite war zum Glück schon bezugsfertig, das Roomkeeping war gerade
fertig geworden. Für Medewe hatte ich nur ein Zimmer gebucht, ich
wollte den Grünschnabel nicht größenwahnsinnig werden lassen.
Auf
dem Weg zu meinem Zimmer begegnete ich einigen anderen Gästen des
Hotels, einige kannte ich sogar noch von einem sehr langem
Silvesterabend letztes Jahr. Wir hätten es beinah geschafft die
Hotelbar zu überlasten. :)
Auf
meinem Zimmer angekommen ließ ich mir erstmal ein Vollbad ein,
schaltete den Fernseher an und als ich im Bademantel auf die Allee
unter mir blickt, rief ich kurz beim Concierge an, bestellte mir eine
Flasche von meinem Lieblingswein, und bat darum informiert zu werden
sobald Alexander Medewe eintreffen sollte.
Nachdem
ich mich wieder ordentlich angezogen hatte und auch die Flasche
Rotwein gekommen war, legte ich mich aufs Bett, schaute RTL, trank
Rotwein, zündete eine Zigarette an und blätterte durch den Stern,
den ich noch aus dem Flugzeug hatte.
Es
dauerte nicht einmal all zu lange, als das Telefon klingelte und ich
mich auf den Weg nach unten begab.
Als
ich unten ankam war Medewe gerade noch mit dem Einchecken
beschäftigt. Ich lief trotzdem auf ihn zu, begrüßte Louisiana kurz
und umarmte Medewe mit freudiger Erregung, wohl schon etwas
angeschwippt vom Wein.
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Andre
selber war kein Russe, er war Franzose, lebte aber in Washington
D.C., wobei man nicht sagen kann, dass er dot wirklich lebte. Er
verbringt in der Regel nie länger als drei Tage am Stück in
Washington, dann geht es wieder auf Reise, in der Regel für etwa
eine Woche, mit Zwischenstopps in europäischen Metropolen und einem
Wochenende an der Cote d'Azur. Er war Abteilungsleiter für
Zentralasien im WB HQ, was im Grund wöchentliche Meetings nötig
machte.
Zwar lief Andre stark auf die 59 zu, was ihm aber nicht daran
hinderte, eben dieses Pensum höchst regelmäßig zu fliegen:
Washington, Bischkek, Paris, Cote d'Azur. Washington, Astana, Berlin,
Cote d'Azur. Washington, Duschanbe …
Medewe
war gerade einmal Mitte Zwanzig. Seinen Schulabschluss hatte er in
St. Petersburg gemacht, studiert hatte er in Moskau, promoviert
ebenda über einen Teilbereich der Auslandsverschuldung, alles mit
Auszeichnung. Angefangen hatte er bei der WB direkt nach seiner
Promotion und konnte aufgrund seiner guten Zeugnisse direkt zwei
Gehaltsstufen höher einsteigen. Man hielt ihn dann aber doch noch
für einen Grünschnabel und hatte ihn auf eine dreiwöchige
Rundreise durch ganze Zentralasien und Osteuropa geschickt um als
Gasthörer auf verschiedenen Meetings erfahrner WB Leute dabei zu
sein.
Auf
einem dieser Meetings hatte er Andre kennen gelernt, sein
Beobachtungsobjekt für dieses Meeting.
Andre
hatte sich über Medewes Werdegang gewundert und hatte ihn gefragt
wie ein junger Menschen das leisten könne, das ganze Leben auf der
Überholspur und dabei doch nichts zu erleben und nichts zu genießen.
Das
Treffen mit Andre war gleichzeitig die letzet Station auf Medewes
Reise. Andre gab Medewe die Adresse des Berliner Hotels, in das er
sich einquartieren sollte. Medewe musste laut seines Flugplanes eine
Nacht in Berlin bleiben um seinen Anschlussflug über Frankfurt nach
D.C. zu bekommen. Medewe hatte sich eigentlich vorgenommen ein Hotel
am Flughafen zu nehmen. Als Andre ihn aber anrief und es schaffte
Medewe zu überzeugen seinen restlichen Urlaub dafür zu nutzen ein
paar Tage mit ihm in Berlin zu verbringen und Andre auch noch
ankündigte für das Hotel aufzukommen, änderte Medewe seine Pläne,
er wollte sich ja nicht mit seinem Vorgesetzten schlecht stellen.
Sein
Flug wurde dann nach München verlegt und einen weiteren Flug nach
Berlin wollte er nicht mehr buchen, weil er sich nicht mehr auf
offizieller Reise befand. Er entschloss allerdings letztlich mit der
Bahn nach Berlin zu fahren, um seine Zusage Andre gegenüber nicht zu
brechen und um seine Pläne nicht schon wieder ändern zu müssen.
Andre
hatte angekündigt Medewe zu zeigen, was es heißt zu leben. Er
wollte ihm das Berliner Nachtleben etwas näher bringen. „Woanders
gibt’s ´ne Speerstunde, in Berlin die Müllabfuhr“ hatte Andre
einmal gesagt. Medewe fand das unpassend, er war keine Anfang 20 mehr
und Andre erst recht nicht. Vielleicht hat Andre das aber auch
irgendwie anderes gemeint.
Medewes
Nachtleben hatte sich bis jetzt immer auf Überstunden, gelegentlich
einem Kinobesuch mit Freunden und noch einmal Überstunden erstreckt.
Er war damit nicht unglücklich, seine Arbeit machte ihm Spaß, er
hatte machmal von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens am Computer gesessen
und seine Promotion geschrieben.
Andre
löste die Umarmung und die beiden bewegten sich zu den Aufzügen.
Andres Stimmung war heute deutlich gelöster, als bei ihrem letztem
Treffen. Die Fahrstuhltür öffnete sich und Andre nahm Medewe
kurzerhand seine Schlüsselkarte ab, nur um sie vor ein Panel des
Aufzuges zu halten, worauf sich der Aufzug in Bewegung setzte und
Andre Medewe die Schlüsselkarte zurückgab.
Die
Fahrt nach oben verbrachten die beiden schweigend und auch auf dem
Weg zu Andres Zimmer hatten die beiden sich außer einigen
freundlichen Grüßen an zufällig vorbei kommende Hotelgäste nicht
viel zu sagen. Medewe wollte sich seine Worte für später
aufbewahren.
Vor
dem Zimmer von Andre verharrten die beiden und Andre empfahl Medewe
erst mal auf sei Zimmer zu gehen, es sei auf dem selben Stock, die
Nummer stehe aus seiner Schlüsselkarte und nach einem Blick auf
selbige sagte er Medewe, er werde ihn später auf seinem Zimmer
anrufen und ihn dann erst mal sanft und seicht in das Berliner
Nachtleben einführen, er solle ja nicht gleich einen Schock
erhalten; Medewe fühlte sich in seiner Ehre als Russe gekränkt,
sprach es aber nicht aus.
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Das
Haus war größer als ich es vermutet hätte. Auch wenn Andre gesagt
hatte, dass mein Zimmer auf dem selben Stockwerk sei, musste ich doch
den Fahrstuhl nehmen um in einen anderen Teil des Hotels zu gelangen.
Im Fahrstuhl machte ich die freundlich Bekanntschaft eines
Küchenjungen, der mich dafür aber bis in den Keller beförderte.
Ich also mit dem Fahrstuhl wieder hoch. Mehrere Minuten lief ich über
den angenehm weichen Boden, welcher aber nicht darüber hinweg
täuschte, dass sich meine neuen Schuhe mittlerweile als Fehlkauf
erwiesen, weil sie mir meine Hacken aufrieben, um nachdem ich mich
mehrmals verlaufen hatte bei seinem Zimmer am Ende eines langen
Ganges mit mehreren uneinsichtigen Wendungen nun doch endlich ankam.
Das Türschloss öffnete sich ohne Tadel, dafür war die Tür an sich
umso schwerer und ich musste mich mit meinem Körper gegen die Tür
stemmen, um sie zu öffnen. Die Tür fiel hinter mir zu und ich
stellte erst einmal meinen Koffer ab, um durch die Doppeltür in das
Schlafzimmer zu schreiten, öffnete sogleich die schweren, bodenlagen
Vorhänge, um noch etwas Tageslicht dieses Sommertages in mein Zimmer
fallen zu lassen.
Ich
wandte mich wieder meinen Koffer zu, legte ihn auf das Bett, öffnete
ihn und fing damit an den Inhalt meines Koffers in den Schränken auf
dem Flur zu verstauen, denn auch wenn Andre gesagt hatte, das ganze
hier würde nur ein paar Tage dauern, war ich es doch gewöhnt meinen
Koffer auszupacken. Ich reise immer mit so wenig Gepäck, dass das
ganze Prozedere nie länger als 5 Minuten dauert und es sich am
Morgen doch immer als deutlich angenehmer erwiesen hat, wenn man im
Koffer nicht nach frischen Klamotten fischen muss.
Im
Übrigen bin ich auch noch nie in die Bredouille gekommen, das mir
die frische Kleidung ausgegangen wäre.
Nach
viereinhalb Minuten und nachdem ich erstmal ausprobiert hatte wie der
Fernseher angebt, beschloss ich mich im Badezimmer etwas frisch zu
machen. Die Toilette war separiert und nach einer Dusche im Regenwald
stapfte ich im Bademantel zum großen Fenster um zu schauen ob sich
der lange Marsch zu meinem Zimmer durch die Aussicht bezahlt machte.
Mein
Zimmer war an der Ecke einer Seitenstraße zu der Prachtstraße auf
der ich wohl vorhin mit dem Taxi gefahren bin. Ich musste mich etwas
schräg stellen, erkannte vor mir aber das Brandenburger Tor, soviel
wusste ich von Berlin, und ein Gebäude mit der französischen
Flagge, anscheinend die Botschaft.
Medewe
schritt den Gang hinunter, in die Richtung seines Zimmer, mal sehen
ob er sein Zimmer findet, oder ob irgendwer ihn aufgabelt und dann zu
seinem Zimmer bringt.
Ich
öffnete meine Tür, meine Koffer waren mittlerweile auf mein Zimmer
gebracht worden. Ich legte mich wieder auf mein Bett, schenkte mir
Rotwein nach, zündete mir eine Zigarette an und holte meine Lektüre
aus meiner Umhängetasche, ein klassisches Werk über eine
Kaufmannsfamilie aus Lübeck.
Medewe
sollte ruhig eine Stunde Zeit haben um sein Zimmer zu erkunden, die
Reservierung im Borchardt hatte sowieso noch Zeit. Ich wollte Wort
halten, Medewes Einstieg sollte wirklich sanft sein, ich habe meine
eigene Definition von Nachtleben.
Ich
hatte noch nicht einmal ein halbe Stunde gelesen, gerade genug um
wieder in den Flow zu kommen, da klingelte das Telefon. Ich nahm
sofort ab, Medewe war am anderem Ende:
„Ja,
ja so in etwa.“, antwortete Medewe, „ Andre sag mal, wohin willst
du mich eigentlich nachher entführen.“
„Turnschuh
oder Smooking?“ fragte Medewe direkt.
Damit
legte ich auf. Wie neugierig die Jungen von heute sind, aber
eigentlich hat er ja recht.
Kaum
weitere 20 Minuten später, ich hatte mir gerade vorgenommen, dass
ich noch etwas weiter lesen wolle, rief Medewe wieder an, er werde
unten in der Lobby auf mich warten. Das war mir nur recht, soll er
nur etwas unten in der Lobby warten.
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Ich
riss mich von dem Ausblick los, schritt an mein Bett, hob den
Telefonhörer ab und wählte die Direktwahl für das Zimmer von
Andre. Andre hobt den Hörer sofort ab, er lag wohl gerade auf dem
Bett,:
„ Kannst
du es gar nicht mehr abwarten“, sagte Andre.
„Das
soll doch eine Überraschung sein“, erwiderte Andre.
„Jackett,
aber ohne Anzug und auf gar keinen Fall Turnschuh, die sind die
nächsten Tage ab 19 Uhr tabu, den Tag über kannst du die gerne
tragen. Zieh aber bitte nicht dein Anzugjackett an, es ist einfach
fürchterlich geschnitten, du siehst darin aus als währst du Anfang
60 und hättest dir die Haare gefärbt.“
Damit
legte Andre auf.
Ich
fühlte sich etwas brüskiert, machte mir aber nicht daraus. Schon in
meiner ersten Woche bei der WB bin ich vor solch einer Art von Humor
gewarnt worden.
Ich
legte mir also meine Sachen zurecht, behielt den Bademantel aber noch
einen Moment an, klappte meinen Laptop auf um meine E-Mails abzurufen
und um auf dem Laufenden mit dem Geschehen im HQ zu bleiben.
Nach
der Durchsicht der angelaufenen E-Mails, die ich alle pflichtgemäß
beantwortete, insofern dieses erforderlich war, las ich noch eine
Hand voll Artikel auf SPON, um mich kurz in das Zeitgeschehen meines
gegenwärtigen Aufenthaltsortes einzufinden, schloss meinen Computer
und zog meine zuvor vorbereiteten Sachen an.
Da
mir auf dem Zimmer irgendwie langweilig war, weil ich mein Buch schon
auf der elendig langen Zugreise ausgelesen hatte und von fernsehen,
außer als Einschlafhilfe, nicht sonderlich viel hielt, rief ich kurz
bei Andre an um ihm mitzuteilen, dass ich mich unten in die Lobby
setzen würde um einen Kaffee zu trinken.
diese Geschichte spricht mir aus der Seele, ich komme selbst gerade von einer Konferenz, amüsant zu lesen
ReplyDeleteGruß,
Bernd Galand, Geschäftsmann, Straubing
Ein Kollege und Freund aus Japan hat mich letzte Woche in Monaco im Rahmen eines kleinen spontanes Yachttrips auf diesen Geheimtipp hier hingewiesen. Wirkich köstlich zu lesen! Ich kann mich Herrn Galand nur anschließen. Es spricht einem aus der Seele. Absolut! Mehr davon! Mehr! Auf kleine Liebeleien des Protagonisten mit dem anderen Geschlecht bin ich so was von gespannt!
ReplyDeleteGreetz from Arabia
Nasir Jones
Ich habe schon länger keinen Text mehr gelesen, der den Geist des Reisens in so treffender Weise einfängt und mit Humor verarbeitet. Ich kenne den Trott aus eigener Erfahrung (das monatliche Flug-Programm Paris–Bissau–Neukaledonien-Düsseldorf–Herzogenaurach zieht so einige Anstrengungen nach sich, kann ich ihnen versichern). Ich freue mich außerordentlich auf neue Kapitel, mein Guter!
ReplyDeleteMit freundlichen Grüßen,
Zacharias de Édell-Füllaire
p.s.: Habe ich die Zeichen richtig herausgelesen? Interessiert sich der Protagonist für Sophia von der Rezeption im Verlaufe des Romans?
Als ich mich übers Adlon schlau machen wollte, bin ich auf diesen Blog gestoßen. Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Ein ausgezeichnetes ersten Kapitel, welchen Lust auf mehr macht! Doch was in mir ein großes Fragezeichen hinterlässt, ist, wer dieser geniale Blogger ist, der hinter allem steckt. Die Rede ist von dem geheimnisvollen "mm". Etwa ein erfolgreicher Popliterat, der hier ein paar literarische Experimente der etwas anderen Art wagt und den Blog dabei bewusst nur einem exklusiven Publikum lässt? Oder handelt es sich bei dem Protagonisten um den Autor selbst und die Geschichten spiegeln sein Leben als erfolgreicher "Weltbänker" wieder? Wie ich sehe hat sich der Blogger bis jetzt noch nicht wirklich zu seiner Person geäußert. Ich bin gespannt wie das Projekt oder was auch immer dies sein mag weitergeht!
ReplyDeleteAch und nochwas: Mir gefällt ihr Schreibstil sehr. der ist so à laBenjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht. Ich freue mich schon auf den Tag an dem der Roman fertig ist und ich erhobenen Hauptes sagen kann: Dies ist das bessere Faserland.
Gruß von gj (um im spirit dieses Blogs zu bleiben)
Ich weiß nicht, wie ich hier landen konnte und weiß ebenfalls nicht, was die anderen Kommentatoren hier geraucht haben, aber ich halte nicht wirklich viel von dem vorliegenden ersten Kapitel. Was man dem Blogger zu Gute halten muss, ist, dass er (wahrscheinlich durch seine eigene Berufserfahrung) ein sehr authentisches Bild vom Leben als Kosmopoliten schafft. Dennoch stören mich schon die großen formalen Mängel. Ich weiß nicht, ob dem Autor Begriffe wie Orthografie und Interpunktion geläufig sind, jedoch beachtet er die Einhaltung derselben nur bedingt. Desweiteren ist der Anfang des Romans (falls man das so nennen kann) einfach nur langweilig. Ich musste mich echt überwinden, zu Ende zu lesen. Der Ich-Erzähler macht immer das gleiche. Wenn er sich nicht gerade eine Zigarette ansteckt, sich mit irgendwelchen teuern Weinen vergnügt oder RTL (???) schaut, hat er nichts besseres zu tun, als sich mit völligen Banalitäten aufzuhalten oder blödsinnigen Beschäftigungen nachzugehen. Ich möchte keinen Missmut bei dem Blogger erzeugen und würde mich natürlich auch freuen, wenn er weiterschreibt. Aber ich musste hier kurz meine Kritik loswerden.
ReplyDeleteSehr geehrter MM,
ReplyDeleteinzwischen ist Ihr Blog zu einem echten Geheimtipp in unserem Konzern geworden! Meine gesamte Abteilung schwärmt für ihre prosaische Handwerkskunst und wartet gebannt auf die Fortsetzung dieses Launemachers. In der Führungsetage unseres Unternehmens können wir Ihre Ausführungen nur zu gut nachvollziehen, reflektieren sie doch unser täglich Brot.
Allerdings ist es verwunderlich, dass Ihr Protagonist sich tatsächlich dazu niederlässt ein Glas Rotwein im Flugzeug zu bestellen, ist es doch durchaus bekannt, dass die Geschmacksknospen in derartiger Höhe den gesamtem Geschmacksumfang eines Weines NIEMALS ganz erfahren können (in diesem Zusammenhang verweise ich auf das Magazin "Vinos"). Hinzu kommt noch, dass Flugbegleiter bekanntlich keine Ahnung von Dekantierzeit haben.
MfG
Jörg von Karsting
groß, ganz groß!
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